Stuttgart. Es sind unvergessene Erfolge: Bei der fünften Auflage der Mille Miglia im Jahr 1931 siegen Rudolf Caracciola und sein Beifahrer Wilhelm Sebastian mit dem Mercedes-Benz SSKL als erste Nichtitaliener gegen die favorisierten Lokalmatadore. Ebenso als Außenseiter holt 1971 beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps der erstmals von AMG eingesetzte Mercedes-Benz 300 SEL 6.8 mit dem Fahrerduo Hans Heyer/Clemens Schickentanz den Klassensieg und belegt Rang zwei im Gesamtklassement. Zwei Geburtstage: Juan Manuel Fangio wird vor 110 Jahren geboren. Der großartige argentinische Rennfahrer ist ein Zeitgenosse des Ingenieurs Rudolf Uhlenhaut, beide treffen in den 1950er-Jahren bei Mercedes-Benz aufeinander. Uhlenhaut ist nicht nur ein genialer Techniker, sondern ebenfalls ein Könner im Rennwagen. Er kommt vor 115 Jahren auf die Welt.
24. Juni 1911 – Juan Manuel Fangio wird in Balcarce, Argentinien, geboren
Das erste Jahrzehnt der 1950 gegründeten Formel-1-Weltmeisterschaft dominiert Juan Manuel Fangio. Fünfmal wird der Argentinier mit Wettbewerbsfahrzeugen vier verschiedener Hersteller Weltmeister, 1954 und 1955 mit dem Mercedes-Benz W 196 R. Beim ersten Start dieses Rennwagens am 4. Juli 1954 gewinnt Fangio den Großen Preis von Frankreich in Reims vor seinem Teamkollegen Karl Kling. Zu diesem Zeitpunkt ist der Weltmeister von 1951 – auf Maserati – bereits 43 Jahre alt. 1954 siegt er auch beim Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring, beim Großen Preis der Schweiz in Bern sowie beim Großen Preis von Italien in Monza und gewinnt die Automobil-Weltmeisterschaft überlegen.
Die Saison 1955 beginnt für den Lokalmatador mit einem Erfolg beim Großen Preis von Argentinien. Bei großer Hitze hält Fangio als Einziger ohne Fahrerwechsel durch. Siege bei den Großen Preisen der Niederlande und Italien kommen hinzu und bringen ihm den zweiten WM-Titel mit Mercedes-Benz. Nach dem Rückzug von Mercedes-Benz aus dem Motorsport wird er 1956 auf Ferrari und 1957 auf Maserati Weltmeister. 1958 beendet Fangio seine Karriere. Mit 24 Siegen in 51 Großen Preisen erzielt er eine Erfolgsquote von fast 50 Prozent. Um herauszufinden, wer der beste Formel-1-Pilot aller Zeiten ist, hat das Magazin „auto motor und sport“ nach den ersten 1.000 Grands Prix im Jahr 2019 mithilfe eines umfangreichen Schemas alle Formel-1-Fahrer miteinander verglichen. Danach ist Fangio der Beste vor Michael Schumacher und Lewis Hamilton.
Alfred Neubauer, der Rennleiter von Mercedes-Benz in den 1930er- und 1950er-Jahren, sagt über Fangio: „Er verstand es, unter allen Bedingungen das Maximum zu erreichen und seine Maschine ökonomisch einzusetzen. Das heißt, er war kein wilder Draufgänger, sondern hatte die Fähigkeit, Taktik und Leistungsfähigkeit der Maschine als ein Ganzes zu sehen und dieses Ganze jeweils den Anforderungen des Augenblicks anzupassen.“ Sein Biograf, der Journalist Günther Molter, charakterisiert den in einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Rennfahrer mit diesen Worten: „Fangio war stets scheu, zurückhaltend, misstrauisch fast. Und er war auf der anderen Seite auch als großer Star bescheiden stets, anspruchslos und menschlich.“ Der großartige Rennfahrer stirbt am 17. Juli 1995 in Buenos Aires.
15. Juli 1906 – Rudolf Uhlenhaut wird in London geboren
Rudolf Uhlenhaut ist ein Multitalent. Er ist nicht nur ein begnadeter Techniker, sondern auch ein glänzender Autofahrer. Bei Mercedes-Benz kann er beide Passionen ausleben. Geboren wird er 1906 in London als Sohn einer Engländerin und eines Deutschen, der die dortige Filiale der Deutschen Bank leitet. Er lebt in Großbritannien, bis die Familie 1914 nach Brüssel, 1919 nach Berlin und später nach Bremen umzieht. In München studiert er Maschinenbau.
24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps am 24. Juli 1971. Die Mercedes-Benz 300 SEL 6.8 AMG Rennlimousine (W 109) mit den Fahrern Hans Heyer und Clemens Schickentanz holt Platz zwei im Gesamtklassement und den Klassensieg. Es ist der erste international beachtete Erfolg von AMG im Motorsport. (Fotosignatur der Mercedes-Benz Archive: A2002F5500)
1931 stößt der Diplom-Ingenieur zur Versuchsabteilung der damaligen Daimler-Benz AG und kümmert sich zunächst unter anderem um die Fahrwerkabstimmung des 1936 präsentierten Mercedes-Benz 170 V (W 136). Der Motorsport ist ebenfalls dort angegliedert. Im September 1936 wird Uhlenhaut technischer Leiter der Rennabteilung – und prägt die Rennwagen bis in die 1950er-Jahre hinein. So tragen ab 1937 die Silberpfeile und Rekordwagen und damit die großartigen Erfolge der Marke auch seine Handschrift. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzt Uhlenhaut seine brillante Arbeit mit dem 300 SL Rennsportwagen (W 194), dem neuen Formel-1-Rennwagen W 196 R und dem Rennsportwagen 300 SLR (W 196 S) fort. Dabei hilft ihm, dass er selbst ein glänzender Autofahrer auch in höchsten Geschwindigkeitsregionen ist. Rennleiter Alfred Neubauer bezeichnet ihn „als den einzigen Konstrukteur, der es je verstanden hat, einen schweren Wagen eigenhändig im Renntempo über eine Bahn zu steuern. Er braucht sich nicht auf die Urteile der Fahrer verlassen“. Seine Rundenzeiten liegen auf dem Niveau professioneller Rennfahrer.
Diese Fähigkeit setzt Uhlenhaut auch für die Entwicklung vieler Mercedes-Benz Serienfahrzeuge ein – dem anderen Arbeitsfeld des leitenden Ingenieurs. Tatsächlich sagt er selbst: „Es ist viel anspruchsvoller, einen guten Personenwagen zu entwickeln als einen Rennwagen. Ein Rennwagen muss Rennen gewinnen. Ein Personenwagen muss robust halten, muss bequem sein, muss gut aussehen, muss eine gute Federung haben, muss preiswert sein … und vieles mehr.“ Uhlenhaut prägt als Pkw-Entwicklungschef zahlreiche Serienfahrzeuge von Mercedes-Benz, seine Wirkungszeit reicht über rund 40 Jahre und damit mehrere Fahrzeugepochen. Zum Schluss seiner Laufbahn prägt er noch die in seinem Pensionierungsjahr 1972 vorgestellte Mercedes-Benz S-Klasse der Baureihe 116. Seine Technikkompetenz ist gepaart mit dem klaren und zugleich bescheidenen Auftreten eines weltoffenen Gentlemans. Dazu passt seine Muttersprache, er spricht ein feines Englisch. Rudolf Uhlenhaut erweist dem Unternehmen auf internationalem Parkett mit viel Fachkenntnis, Charisma und Charme große Dienste. Er stirbt am 8. Mai 1989 in Stuttgart.
12./13. April 1931 – Rudolf Caracciola siegt vor 90 Jahren nach 16 Stunden Nonstop-Fahrt
Im Jahr 1931 sind 151 Teams für das Straßenrennen gemeldet, darunter Rudolf Caracciola und sein Beifahrer Wilhelm Sebastian. Sie treten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht als Werksteam auf, sondern als Privatteam. Sie gehen auf dem legendären Mercedes-Benz SSKL („Super-Sport-Kurz-Leicht“, W 06 RS) an den Start. Er wird als viertes und letztes Modell der legendären S-Reihe in nur vier Exemplaren ausschließlich für den Renneinsatz gebaut. Die Straßen in Richtung Rom sind eng, führen über Pässe, und erst auf dem Weg zurück zum Start- und Zielort Brescia kann Caracciola über viele Kilometer hinweg Vollgas fahren. Das Ziel erreicht das Team in neuer Rekordzeit von 16 Stunden, 10 Minuten und 10 Sekunden sowie mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 101,6 km/h.
Einen Mille-Miglia-Rekord für die Ewigkeit halten seit 1955 Stirling Moss und Denis Jenkinson. Mit ihrem Mercedes-Benz 300 SLR (W 196 S) legen sie das berühmte Straßenrennen in 10 Stunden, 7 Minuten und 48 Sekunden zurück und gewinnen vor ihrem Teamkollegen Juan Manuel Fangio. Ihr Durchschnittstempo von 157,65 km/h wird seitdem nicht mehr überboten.
24. Juli 1971 – AMG Mercedes-Benz in Spa-Francorchamps erfolgreich
Der Mercedes-Benz 300 SEL 6.8 AMG wird vom 20. Juli bis 19. September 2021 im Atrium des Mercedes-Benz Museums ausgestellt und ist somit kostenfrei zu erleben.
Es ist der erste international beachtete Erfolg im Motorsport von AMG: Beim 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps belegt der Mercedes-Benz 300 SEL 6.8 AMG mit den Fahrern Hans Heyer und Clemens Schickentanz Platz zwei im Gesamtklassement und holt den Klassensieg. Im Feld der rund 80 Starter ist die 1.635 Kilogramm schwere Limousine allenfalls ein Außenseiter. Doch die Charakteristik des 14,863 Kilometer langen alten Kurses von Spa-Francorchamps kommt der Luxuslimousine entgegen. Auf den langen Geraden können Heyer und Schickentanz die Gegner überholen, verlieren aber wiederum beim Bremsen und in den Kurven viele Sekunden. Das gleicht sich aus, auf der neben Monza schnellsten Rennstrecke Europas hält sich der von den Fans „Rote Sau“ getaufte Mercedes-Benz stets in der Spitzengruppe. Als nach 24 Stunden nur 18 Fahrzeuge das Ziel erreichen, liegt der Newcomer auf Rang zwei. Geschlagen nur vom Ford Capri RS 2600 von Dieter Glemser und Àlex Soler-Roig. Glemser, Werksfahrer von Mercedes-Benz in den Jahren 1963 bis 1965, ist heute Markenbotschafter des Unternehmens.
Von Werkseinsätzen im Rennsport ist Mercedes-Benz in den 1970er-Jahren weit entfernt. Aber AMG möchte durch den privaten Einsatz eines Renntourenwagens auf das junge Unternehmen aufmerksam machen. Als Basisfahrzeug wählt AMG Chef Hans Werner Aufrecht den 1968 vorgestellten Mercedes-Benz 300 SEL 6.3 (W 109). Mit vergrößertem Hubraum des Achtzylinders von 6,3 auf 6,8 Liter leistet dieses von AMG Mitbegründer Erhard Melcher präparierte Triebwerk im Renneinsatz 315 kW (428 PS) und bietet ein stattliches Drehmoment von 620 Newtonmetern. Die Höchstgeschwindigkeit der viertürigen Limousine liegt bei 265 km/h.
Die Fahrzeugbasis liefern ein Unfallwagen und eine neue Rohkarosserie. In zweijähriger Kleinarbeit entsteht ein gegenüber dem Serienmodell um 195 Kilogramm erleichterter Tourenwagen. Nach dem Rennen berichtet sogar die „Tagesschau“ der ARD über den Erfolg, Das Fachmagazin „auto motor und sport“ spricht euphorisch von einem „Schwabenstreich“. Schlagartig erhöht sich der Bekanntheitsgrad von AMG. Das originale Einsatzfahrzeug wird später für Versuchsfahrten von Flugzeugreifen umgebaut und existiert nicht mehr.
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