• Vor 135 Jahren: 1888 startet die Serienproduktion von Daimler-Motorbooten
  • Das Boot „Marie“ des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck
  • Versuchsfahrten auf dem Neckar beginnen 1886
  • Umfassende Vision der Mobilität zu Land, auf dem Wasser und in der Luft

„Close-up“ – der Name der Serie des Mercedes-Benz Museums ist Programm. Jede Folge erzählt Überraschendes, Spannendes, Hintergründiges. Dazu wirft sie den Spot auf Details eines Fahrzeugs, Ausstellungsexponats oder eines Elements von Architektur und Gestaltung. Diesmal im Blick: das Motorboot „Marie“ von 1888 aus dem Besitz Otto von Bismarcks.

Nr. 7/2023: Daimler-Motorboot „Marie“ aus dem Jahr 1888

Luxuriös: Das kleine Schiff ist wie gemacht für eine elegante Sommerausfahrt. Die weiß lackierte Sitzbank schmiegt sich in elegantem Bogen in den Bootsrumpf, darüber ein von glänzenden Messingstangen getragener Baldachin für den Sonnenschutz. Nun fehlt nur die festlich gekleidete Partie, die mit dem neuen Wasserfahrzeug ihre Fahrt über einen glitzernden See genießt. Die Passagiere des schnittigen Motorboots mit weiß-rot-blauem Rumpf und goldenen Verzierungen gehören damals zu den Spitzen der Gesellschaft. Schließlich ist „Maries“ Besitzer Otto von Bismarck, deutscher Reichskanzler von 1871 bis 1890. Gebaut wird das Boot vor 135 Jahren von Gottlieb Daimler in Cannstatt. Heute ist es im Mercedes-Benz Museum zu erleben, im Raum Mythos 1: Pioniere – Die Erfindung des Automobils.

Familiensache: Der Name „Marie“ prangt in Goldbuchstaben auf rotem Grund am Bug. Marie von Bismarck (1848 bis 1926) ist das erstgeborene Kind Otto von Bismarcks (1815 bis 1898). Der Politiker tauft das Boot 1888 auf den Namen seiner Tochter und setzt es auf dem See seines Landsitzes in Friedrichsruh östlich von Hamburg ein. Dass Bismarck das für ihn in Cannstatt gebaute Motorboot schätzt, ist für den Mobilitätspionier Gottlieb Daimler ein echter Coup. Denn bis zu diesem Punkt gelten seine Boote mit Verbrennungsmotorantrieb trotz Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit eher als technische Spielerei und Kuriosität denn als modernes Wasserfahrzeug.

Erlkönig: Seit 1882 arbeitet Gottlieb Daimler zusammen mit Wilhelm Maybach in Cannstatt am schnell laufenden Verbrennungsmotor für die Mobilität zu Lande, zu Wasser und in der Luft. 1885 erlebt der Antrieb zunächst im zweirädrigen „Reitwagen“ sein Debüt. Schon im August 1886 rüstet Daimler das erste vierrädrige Automobil der Geschichte mit seinem Motor aus. Dieses Datum und die Patentanmeldung des Motorwagens von Carl Benz in Mannheim machen 1886 zum Geburtsjahr des Automobils. Ebenfalls im August 1886 hat Daimlers erstes Motorboot „Neckar“ Premiere, mit dem er Versuchsfahrten auf dem gleichnamigen Fluss bei Cannstatt unternimmt. Angeblich tarnt Daimler den innovativen Antrieb, indem er das Motorgehäuse mit Isolatoren und Drähten versieht und so den Eindruck erweckt, es stecke ein Elektromotor im Rumpf. Damit wäre die „Neckar“ ein echter Erlkönig.

Geheimnis: Die damals noch verborgene Innovation steckt hinter zwei Türen aus weiß lackiertem Blech, die sich seitlich an einem schlanken, hohen Kasten im Bootsheck befinden. Wer sie öffnet, entdeckt den wegweisenden Antrieb: Es ist Gottlieb Daimlers Einzylindermotor „Standuhr“. Die Kraftmaschine ist vom filigran wirkenden Gehäuse komplett umschlossen. Oben wölbt sich eine Kuppel aus Drahtgeflecht, darauf glänzt ein goldener Knauf. Lediglich der Griff für das Gas und die Anlasskurbel ragen dezent unten aus der Verkleidung heraus. Von Land aus ist das kleine Schiff mit Verbrennungsmotor optisch tatsächlich kaum von einem Elektroboot zu unterscheiden.

Schraubenantrieb: Insgesamt entstehen 1886 drei Boote zur Erprobung des Verbrennungsmotors. Die beiden anderen heißen „Rems“ und „Schwaben“. In Größe und Ausstattung ähnelt die „Neckar“ der zwei Jahre später gebauten „Marie“. Allerdings fehlt dem Daimler-Boot von 1886 die prächtige Zier des bismarckschen Nachfolgers. Gleich ist hingegen das Antriebssystem: Der Motor wirkt auf eine Welle, welche die starre Schiffsschraube im Heck antreibt. Gesteuert wird mit einem Ruder. Heute wird ein Boot dieser Größe meist von einem Außenborder bewegt.

Portfolio: 1888 beginnt die Serienfertigung von Motorbooten bei Daimler. Die Rümpfe liefern Werften zu, sie erhalten in Cannstatt den Motor. Aus dieser frühen Zeit stammt die „Marie“ der Familie von Bismarck. Verstecken muss Daimler seinen erfolgreichen Motor nun eigentlich nicht mehr. Dennoch bleibt die Maschine weiterhin unter ihrer Abdeckung verborgen wie später auch der Motor im Automobil unter der Motorhaube. So kann die Bootsgesellschaft weitgehend ungestört von den Arbeitsgeräuschen und der Wärme der Verbrennungsmaschine ihre Wasserpartie genießen.

Tradition: Nach der erfolgreichen Einführung des Einzylindermotors als Bootsantrieb entwickeln Daimler und Maybach die Anwendung konsequent weiter. Bereits 1890 liefert Daimler die ersten Vierzylindermotoren als Bootsantriebe aus. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein produzieren Daimler, die Daimler-Motoren-Gesellschaft und ab 1926 die Daimler-Benz AG Bootsmotoren. Unter anderem erhält ein Beiboot der kaiserlichen Jacht „Hohenzollern“ einen Daimler-Motor. Neben leistungsfähigen Schiffsdieseln entstehen auch schnell laufende Antriebe für den Motorsport zu Wasser. In den 1950er-Jahren werden zwei Rekordboote des früheren Daimler-Benz Großaktionärs Herbert Quandt sogar mit dem Sechszylindermotor des Sportwagens 300 SL (W 198) ausgerüstet. So beflügelt die Technik des ikonischen „Gullwing“-Coupés von 1954 und des gleichnamigen Roadsters von 1957 den hoch ambitionierten Wassersport.

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