• Den Supersportwagen stellt die Marke im Februar 1954 vor – vor 70 Jahren
  • Die nach oben öffnenden Türen sind ein markantes Merkmal
  • Gitterrohrrahmen, vorzügliches Fahrwerk und Sechszylindermotor mit Direkteinspritzung
  • Der silberne „Flügeltürer“ im Mercedes-Benz Museum ist eins der beliebtesten Fotomotive

„Close-up“ – der Name der Serie des Mercedes-Benz Museums ist Programm. Jede Folge erzählt Überraschendes, Spannendes, Hintergründiges. Dazu wirft sie den Spot auf Details eines Fahrzeugs, Ausstellungsexponats oder eines Elements von Architektur und Gestaltung. Diesmal im Blick: das Mercedes-Benz 300 SL Coupé (W 198) im Raum Mythos 4: Wunderjahre – Form und Vielfalt (1945 bis 1960).

Nr. 1/2024: Mercedes-Benz 300 SL Coupé (W 198)

Star: Der silberne „Flügeltürer“ mit roter Innenausstattung im Mercedes-Benz Museum ist ein Publikumsmagnet. Kaum ein Besucher verlässt den Raum Mythos 4, ohne mindestens ein Bild dieses Fahrzeugs aufzunehmen. Viele fotografieren es von allen Seiten und mit sämtlichen Details. Ein 300 SL ist diese Aufmerksamkeit gewohnt – seit der Premiere vor 70 Jahren ist er ein Traumwagen.

Sensation: New York am 6. Februar 1954. Die International Motor Sports Show öffnet – und Mercedes-Benz überrascht die Weltöffentlichkeit mit einem vollkommen unerwarteten Auto. Die Marke präsentiert einen Supersportwagen. Sein Name: 300 SL. Ein Kernmerkmal sind die Flügeltüren, damals einzigartig in einem Serienfahrzeug und bis heute ein faszinierendes Detail.

Premiere: Mercedes-Benz ist sich der Bedeutung des 300 SL bewusst und inszeniert ihn passend. Der Star steht auf dem Messestand leicht erhöht auf einem runden Podest, das bedeckt ist mit einem sorgsam drapierten Stoff. Im Vergleich bleibt die zweite Neuheit direkt daneben ein wenig zurück. Es ist der 190 SL (W 121), ein eleganter Roadster. Beide Fahrzeuge zielen stark auf den US-amerikanischen Markt. New York ist daher der bewusst gewählte Ort für die Weltpremiere.

Rennsportgene: Die Grundform des 300 SL entspricht dem gleichnamigen Rennsportwagen aus dem Jahr 1952, mit dem sich Mercedes-Benz fulminant im internationalen Motorsport zurückmeldet. Mille Miglia, 24 Stunden von Le Mans, Carrera Panamericana – die Topplatzierungen bei den schillerndsten Sportwagenrennen der Welt schreiben sich in die Gene des Serienfahrzeugs von 1954 ein. Auch die nach oben öffnenden Türen des neuen 300 SL stammen vom Rennsportwagen (W 194). Allerdings erhält das Coupé eine eigene Baureihennummer – es heißt W 198.

Blickfang: Die Türen sind weder Marketing-Gag noch Designspielerei, sondern konstruktiv notwendig: Wie der Rennsportwagen hat der 300 SL unter der Karosserie einen leichten und sehr stabilen Gitterrohrrahmen. Er baut an den Seiten vergleichsweise hoch. Das schließt Einstiegsöffnungen mit herkömmlichen Türkonstruktionen aus. Die Flügeltüren machen Furore.

Spitznamen: Die Öffentlichkeit gibt dem Coupé rasch passende Namen. „Flügeltürer“ heißt er im deutschen Sprachraum, die Amerikaner nennen ihn „Gullwing“ (Möwenschwinge) und die Franzosen „Papillon“ (Schmetterling). Unsterbliche Bezeichnungen, bis heute.

Aufsteller: Die Flügeltüren erfordern mehrere konstruktive Detailmaßnahmen. Unscheinbar und dennoch essenziell sind die oben angebrachten Federn. Sie erleichtern das Aufschwenken und halten die Türen zudem in der Offenposition – ein wichtiges Komfortelement des Seriensportwagens. Die Federn laufen in eleganten Chromrohren.

Glaswerk: Kurbelscheiben lassen sich nicht unterbringen. Daher sind die Rechteckscheiben des 300 SL herausnehmbar und lassen sich im Kofferraum transportieren. Ein Hebel löst den Haltemechanismus aus. „Ganz oder gar nicht“ gilt somit für diese Frischluftzufuhr. Daneben gibt es kleine drehbare Dreieckfenster, um die Belüftung zu unterstützen.

Bahn frei: Eine Konsequenz der Flügeltüren ist außerdem die Lenkradkonstruktion – sie lässt sich nach unten schwenken, um den Einstieg der Beine in den Fußraum zu erleichtern. Ein kleiner Hebel an der Nabe entriegelt und verriegelt den Volant.

Evolution: Trotz schwenkbaren Lenkrads ist das Einsteigen in das Coupé nicht komplett komfortabel. Das 1957 erscheinende Nachfolgemodell, der 300 SL Roadster, ändert dies. Diese offene Ausführung erhält vorn angeschlagene Türen. Dafür wird der Gitterrohrrahmen geändert und baut am Einstieg niedriger. Diese Rahmenversion ist im Raum Mythos 4 auf der „Werkbank“ zu sehen.

Handschmeichler: Ein hübsches und zugleich funktionales Detail ist der äußere Türgriff. Ein leichter Druck auf den kleinen hervorstehenden Teil lässt ihn hervorklappen – ein Zug daran, und die Tür schwenkt auf. Das ist elegant und unterstützt außerdem die Aerodynamik. Heutige Fahrzeuge von Mercedes-Benz greifen das Prinzip wieder auf: Sie haben optional flächenbündige Türgriffe. Diese fahren automatisch aus, sobald sich der Schlüssel in unmittelbarer Fahrzeugnähe befindet, und wieder ein, sobald das Auto verriegelt ist oder losfährt.

Technik: Natürlich hat der W 198 zahlreiche weitere Merkmale. Zum Supersportwagen machen ihn beispielsweise das vorzügliche Fahrwerk, die nahezu ideale Gewichtsverteilung und der innovative Sechszylindermotor. Es ist der weltweit erste serienmäßige Viertakt-Einspritzmotor mit Direkteinspritzung in einem Personenwagen. Die innovative Gemischbildung hebt die Leistung von den 125 kW (170 PS) des Rennsportwagens um rund 25 Prozent auf 158 kW (215 PS). Das ist gut für eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 250 km/h – Mitte der 1950er-Jahre eine absolut außergewöhnliche Fahrleistung. Neu ist außerdem die Frontgestaltung mit großem Zentralstern.

Signalwirkung: Der Coup gelingt. Mühelos erobert der „Flügeltürer“ auf der ganzen Welt Kunden im Segment hochexklusiver Supersportwagen. 1.400 Fahrzeuge des 300 SL Coupé werden von 1954 bis 1957 gebaut, dann folgen noch einmal 1.858 Roadster. Jeder einzelne 300 SL ist schon damals eine Ikone – und fasziniert bis heute unverändert.

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