Stuttgart. Gleich zwei Meilensteine für die Geschichte von Mercedes-Benz bringt die bedeutende Rennveranstaltung „Woche von Nizza“ vom 25. bis 29. März 1901: Vor 120 Jahren beginnt mit dem Sieg des Mercedes 35 PS der Daimler-Motoren-Gesellschaft in Nizza die Epoche des modernen Automobils. Gleichzeitig wird der Markenname Mercedes geboren. Denn Emil Jellinek, damals wichtigster Händler der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG), benennt das von ihm beauftragte Hochleistungsautomobil nach seiner 1889 geborenen Lieblingstochter Mercédès. Bereits in den Vorjahren ist der motorsportbegeisterte Geschäftsmann unter dem Pseudonym „Monsieur Mercédès“ bei Rennen gestartet.
Am 23. Juni 1902 meldet die DMG den Markennamen Mercedes als Warenzeichen an, und am 26. September 1902 wird die Marke gesetzlich geschützt. 1909 lässt die DMG auch den dreizackigen Mercedes-Stern beim Kaiserlichen Patentamt schützen. Mit der Fusion der DMG mit Benz & Cie. zur damaligen Daimler-Benz AG im Jahr 1926 entsteht die neue Marke Mercedes-Benz. Ihre enorme weltweite Strahlkraft seitdem spiegelt auch der internationale Markenreport „Interbrand 2020“ wider: Mercedes-Benz ist die einzige deutsche Marke unter den Top 10 der „Best Global Brands“ und die wertvollste Luxusautomobilmarke der Welt.
Zur Markenfamilie der heutigen Mercedes-Benz AG als global präsentem Hersteller von Luxusfahrzeugen gehören die Automobilmarken Mercedes-Benz, Mercedes-AMG, Mercedes-Maybach, Mercedes EQ, G-Klasse und smart. Dazu kommt Mercedes me als Marke der digitalen Dienste von Mercedes-Benz.
Wichtige Erfolge des Mercedes 35 PS bei der Woche von Nizza vor 120 Jahren
Die Woche von Nizza umfasst eine ganze Reihe von Wettfahrten und ist ein bedeutendes Motorsportereignis:
- Fernfahrt Nizza–Salon–Nizza über 392 Kilometer am 25. März 1901: Wilhelm Werner gewinnt mit einem Durchschnitt von 58,1 km/h. Dieser Erfolg gilt als erster Rennsieg eines Mercedes Automobils überhaupt.
- Bergrennen Nizza–La Turbie am 29. März 1901: Wilhelm Werner siegt in der Klasse der zweisitzigen Rennwagen auf dem Mercedes 35 PS von Henri de Rothschild („Dr. Pascal“) in neuer Rekordzeit mit 51,4 km/h im Durchschnitt vor Albert „Georges“ Lemaître, ebenfalls auf Mercedes 35 PS. In der Klasse der sechssitzigen Wagen gewinnt der Fahrer Thorn mit 42,7 km/h im Durchschnitt auf Mercedes 35 PS.
- Zu den weiteren Meilensteinen gehört der von Claude Lorraine Barrow auf Mercedes 35 PS aufgestellte Weltrekord über die Meile bei stehendem Start mit einem Durchschnitt von 79,7 km/h bei den Rekordversuchen am 28. März 1901, die ebenfalls zum Programm der fünftägigen Woche von Nizza gehören.
Luxuriöser automobiler Lebensstil
Nizza an der Côte d’Azur ist um die Wende ins 20. Jahrhundert ein internationales Zentrum der Automobilkultur. Insbesondere im Winterhalbjahr trifft sich dort die mondäne Oberschicht aus ganz Europa und auch aus Übersee. Der Motorsport gehört zu den Höhepunkten des luxuriösen automobilen Lebensstils. Seit 1897 wird das Bergrennen Nizza–La Turbie ausgetragen. Es gilt als das erste offiziell als Wettbewerb veranstaltete Bergrennen der Welt.
Ab 1899 ist das Bergrennen Höhepunkt der Woche von Nizza. Sie wird vom Automobile Club de Nice und dem Magazin „La France Automobile“ ausgerichtet. Emil Jellinek, dessen Familie die Winter in Nizza verbringt, lässt im Jahr 1899 einen Daimler 12 PS Rennwagen mit „Phönix“-Motor starten. Das von Rennfahrer Wilhelm Bauer gesteuerte Fahrzeug gewinnt die Tourenfahrt Nizza–Colomars–Tourrettes–Magagnosc–Nizza über eine Distanz von 85 Kilometern mit einem Durchschnitt von 34,7 km/h. Arthur de Rothschild belegt bei Nizza–La Turbie 1899 ebenfalls mit einem Daimler 12 PS „Phönix“-Wagen den zweiten Platz in der Klasse der viersitzigen Wagen mit einem Durchschnitt von 41,1 km/h.
Für die Woche von Nizza 1900 verlangt Emil Jellinek von der DMG noch leistungsfähigere Fahrzeuge. So wird der ambitionierte Geschäftsmann zum Innovationstreiber der noch jungen Automobiltechnik. Die DMG antwortet mit dem 23 PS „Phönix“-Wagen. Doch Emil Jellineks Engagement mit zwei dieser Fahrzeuge bei der Woche von Nizza vom 26. bis 30. März 1900 endet tragisch. Der von Hermann Braun gefahrene Wagen überschlägt sich bei der Fernfahrt Nizza–Draguignan–Nizza – glücklicherweise ohne größere Folgen. Beim Bergrennen Nizza–La Turbie verunglückt dann der erfahrene Werkspilot Wilhelm Bauer mit Mercédès II kurz nach dem Start und stirbt wenig später an den Unfallfolgen. Lediglich der Privatfahrer E. T. Stead gewinnt mit seinem eigenen 23 PS „Phönix“ die Touristenklassen bei Nizza–Draguignan–Nizza und Nizza–La Turbie über 296 Kilometer mit einem Durchschnitt von 48,4 km/h.
Für die DMG ist nach diesen Unglücken offen, ob sich das Unternehmen überhaupt noch im Motorsport engagieren soll. Erneut schlägt die Stunde von Emil Jellinek: Statt aufzugeben, setzt er sich mit Nachdruck für die Entwicklung eines innovativen, sicheren und noch leistungsfähigeren Automobils ein. Wilhelm Maybach, damals Chefkonstrukteur des Unternehmens, nimmt die Herausforderung an. So entsteht der Mercedes 35 PS, der als das erste moderne Automobil überhaupt gilt. Am 22. November 1900 wird das erste Fahrzeug im Werk Cannstatt fertiggestellt. Danach erprobt es die DMG und verbessert es weiter. Am 22. Dezember 1900 verschickt das Unternehmen den Wagen nach Nizza an Emil Jellinek. Bei der Rennwoche gehen gleich sieben dieser Supersportwagen ihrer Zeit an den Start, die gleichermaßen für Rennen wie für den Einsatz als sportliche Privatwagen gedacht sind.
Das erste moderne Automobil
Die charakteristischen Merkmale des Mercedes 35 PS sind seine lang gestreckte Form, der leichte und tief im Rahmen eingebaute Hochleistungsmotor sowie der organisch in die Front integrierte Bienenwabenkühler, der zum markenprägenden Erkennungszeichen wird. Dieses vor 120 Jahren hoch innovative Automobil markiert den endgültigen Abschied vom damals branchenweit vorherrschenden Kutschenstil. Die Neuerungen reichen bis zur Rahmenkonstruktion sowie der Kupplung. Die Summe der Innovationen, die als System perfekt aufeinander abgestimmt sind, macht dieses Fahrzeug zum ersten modernen Automobil.
Wilhelm Maybach zeigt mit seinem großen Wurf einmal mehr, weshalb man ihm im automobilbegeisterten Frankreich den Ehrentitel des „roi des constructeurs“ (König der Konstrukteure) gegeben hat. Bei der Woche von Nizza beeindruckt der Mercedes 35 PS vor 120 Jahren die Fachwelt. Paul Meyan, Generalsekretär des Automobilclubs von Frankreich, sagt in einem Rückblick auf die fünftägige Motorsportveranstaltung: „Nous sommes entrés dans lʼère Mercédès.“ („Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten.“)
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